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6 ½ WEEKS

Les Cracks & Vincen Beeckman

In dem Community Projekt und der daraus entstandenen Ausstellung »Les Cracks & Vincen Beeckman«, kuratiert von Nadine Isabelle Henrich, ist Fotografie als Praxis des „commoning“ wirksam: ein selbstorganisierter Prozess des gemeinsamen, bedürfnisorientierten Produzierens, Verwaltens und Nutzens von Bildern. Ein Entstehungsprozess, der unterschiedlichste Formen der Kooperation verbindet und ganz verschiedene Akteur:innen einbezieht, stellt die etablierten Verfahrensweisen von Institutionen, Zuständigkeitsbereiche und Rollenverteilungen auf den Prüfstand.

Es stehen Fotografien von Menschen im Mittelpunkt, die sowohl „am Rande der Gesellschaft“ als auch im Zentrum Brüssels leben. Das Leben auf der Straße ist durch die Schutzlosigkeit gegenüber gewaltvollen Übergriffen, Kälte, Hitze oder Krankheit ein System das zum Überleben ein Übermaß an Energie, Wachsamkeit, Zusammenhalt und Kreativität erfordert (“les Cracks” bedeutet so viel wie “Champions”). Ausdruck und Dokumentationen der Lebenswelten wohnungsloser Menschen und ihrer diversen, individuellen Geschichten sind in der Gegenwart kaum öffentlich sichtbar und auch in historischer Perspektiven werden sie selten in die kollektiven Geschichten von Gesellschaften und Orten eingeschrieben.

In den digitalen Räumen, die einen stetig wachsenden Raum unserer gesellschaftlichen Lebenswelt ausmachen, sind sie in besonderem Maße unsichtbar. Nur wenige haben technisches Equipment wie Smartphones, Laptops oder Kameras zur Verfügung, um Content für Social Media zu produzieren, zu teilen, zu kommunizieren, zu liken oder zu kommentieren. Gesellschaftliche Diskurse, die zunehmend online stattfinden, ereignen sich unter Ausschluss der Communities wohnungsloser Menschen. Über jene gesellschaftliche Gegenwart hinaus bleibt ohne Orte an denen persönliche Objekte, Bilder, Texte oder andere Ausdrucksformen aufbewahrt würden von den Leben wohnungsloser Menschen kaum etwas erhalten, das Teil der Geschichtsschreibung, der Forschung oder des kulturhistorischen Diskurses werden kann. Ihre Existenzen führen mit Blick auf Archive und Museen häufig ein Schattendasein.

Vor dem Hintergrund des Bewusstseins dieser gegenwärtigen wie historischen Unsichtbarkeit lässt sich die Ausstellung Les Cracks & Vincent Beeckman, kuratiert von Nadine Isabelle Henrich, verorten, die über 35 Fotografien und Fotokonstellationen zeigt, die in Brüssel entstanden sind. In den letzten Jahren hat der belgische Fotograf Vincen Beeckman in Zusammenarbeit mit Recyclart Einwegkameras an eine Community gegeben, die im Umfeld des Hauptbahnhofs in Bruxelles lebt und sich dort jeden Tag aufs Neue zusammenfindet. Manche:r kommt dazu andere ziehen weiter. Menschen, die im öffentlichen Raum ohne festen Wohnsitz leben, dokumentieren im Projekt Les Cracks in den Jahren 2015-2020 ihren Alltag, ihre Beziehungen, Partys, Rauschzustände, Begegnungen und Freundschaften.

Formal sind es Blitzlicht, drastische Nahansichten, überraschende Ausschnitte, motivisch sind es spontane Szenen, Selfies, rauschhafte Momente und unmittelbare Emotionen, welche die ca 750 Fotografien auszeichnen, die René, Franck, Jackie, Patti und andere mit ihren Kameras aufgenommen haben. Es sind Aufnahmen von Blicken „unter sich“, die erst nach einem gemeinsamen Auswahlprozess der Fotograf:innen öffentlich wurden. Vincen agierte hier als Initiator, indem er fotografisches Equipment an Menschen aus Communities gibt, die meist nicht über Infrastrukturen der Sichtbarkeit verfügen. So entstand eine Bildwelt, die Narrative abseits der Mainstream Gesellschaft zeigt und ein alternatives Archiv schafft. 

Das Kuratieren wurde als die gemeinsame Suche nach einer Form gestaltet, die unterschiedliche Menschen und Geschichten als ein vielstimmiges Bildgefüge sichtbar macht und dabei diverse Emotionen, Erfahrungen, Begegnungen und Intentionen, die in die Entstehung der Fotografien eingeschrieben sind, in Dialog bringt. In den Entscheidungsprozessen der Bildauswahl, -Anordnung, -Installation sowie der Raumgestaltung der Ausstellung wurden die Fotograf:innen aktiv einbezogen, um die Insider Perspektiven über das Einzelfoto hinaus auszuweiten. Das Anordnen der Einzelaufnahmen zu Konstellationen durch René, Franck, Jackie und Patti schafft eine neue Ebene der Kontextualisierung und Deutung. Der Auswahl- und Gestaltungsprozess in seinen unterschiedlichen Schritten, erst für das Buch, dann für die Ausstellung und die Bildkonstellationen, ist in Videos dokumentiert und Bestandteil der Ausstellung.

Die Ausstellung ist in einer Kooperation zwischen René, Franck, Jackie und Patti (Le Cracks), Vincen, Nadine Isabelle und der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang entstanden und schafft Ressourcen für neue Community-Projekte. Die Ausstellung dehnt sich in dieser Straßenzeitung aus und freut sich auf ein Gespräch zur Sichtbarkeit, Teilhabe an künstlerischer Produktion sowie der Zugänglichkeit institutioneller Räume mit den Leser*innen von Arts of the Working Class.

Schreibt uns eure Kommentare, Anekdote, Kritik an hey@artsoftheworkingclass.org. Ausgewählte Texte werden auf der Website dieser Straßenzeitung veröffentlicht.

Opening: 18 FEB, 6:30 p.m.

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