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HIKING GUIDE TO: HELL, 1991 AND THE SEWER SYTEMS OF THE TECH-UNDERWORLD

Eine Tour durch das KW und Mittes mystifizierte Strassenzüge zur Berlin Art Week.

Alle Lichter sind schon aus. Nur Youtube flackert noch im Vollbild und voller Lautstärke: ’SO LET´S PRACTICE THIS SECOND TECHNIQUE IN SPIRITUAL WARFARE. STAND UP AND DECLARE THIS WITH ME…’. Vor zwei Stunden wollte ich ins Bett. ’…I COMMAND THE HOSTS OF HEAVEN TO PULL DOWN EVERY STRONGHOLD OF SATAN…’. Vorher wollte ich nur noch kurz einen Begriff googeln. ‘…SCATTER THE ENEMY…’. Den Titel einer denkwürdigen Installation. ’…THROW — THEM — DOWN…’. Eine Arbeit, die ich noch einige Stunden vorher gesehen habe. ‘AND CRRRUSSSHHHH THEM’. 

Titel: Strategic-Level Spiritual Warfare. Material: aufblasbare Kabine, Festplatten, Kabelkanäle, freistehende Türen

Bevor ich mitternachts zur spirituellen Kriegsführung gegen die Vorherrschaft Satans auf Erden angestachelt wurde, habe ich zum dritten Mal Tickets für dieselbe Ausstellung gekauft. Eigentlich war ich auf dem Weg nach Hause, nachdem ich den ganzen Tag Führungen durch eine Sammlung zeitgenössischer Kunst in einem ehemaligen Nazi-Hochbunker gegeben hatte. Aber mein Rückweg durch Mitte kreuzt das KW Institute for Contemporary Art. Und die Sogkraft des Hinterhofs zog mich wieder vorbei an den Edelstahlkuben des Café Bravo zum Kartenlesegerät im Ticketshop.

Damals, als das Nachwende-Berlin für mich noch wie Sumpfland wirkte, in das das Fundament neuer Bürokomplexe gegossen wurde, waren auch die KW noch verfallene Ruine. Mitte wirkte auf mich noch lange nach der Wende oft provinziell. Ich bin hier aufgewachsen und hatte als Kind noch keinen Sinn für den Reiz des Runtergekommenen. McDonald´s am Alexanderplatz galt für mich als Zentrum der Stadt und alle Straßenzüge, die nicht mehr nach frittiertem Fett gerochen haben als Peripherie. Grau und trist. 

Erst Mitte der 90er-Jahre wurde das baufällige ehemalige Fabrikgebäude, in dem die KW gegründet, mit Stiftungsgeldern saniert. Mittlerweile ist das Haus einer der profiliertesten Ausstellungsräume der Stadt. Nichts wirkt noch prekär. In jedem Raum gibt es Aufsichtspersonal mit großgedruckten KW-Prints auf den Shirts und täglich einen Guide auf Abruf. Michael Stevenson, von dem ich bis vor einigen Wochen noch nie etwas gehört habe, zeigt hier gerade eine Einzelausstellung. Nur dafür bin ich wieder hier. Alles andere überspringe ich. Selten hat mich eine Show so sehr beschäftigt und in den Bann gezogen wie diese.

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Techniques in Spiritual Warfare. Youtube video min 16

Als erstes ist man mit einer Installation konfrontiert, deren Titel mich mitternachts zum nahezu gleichnamigen Youtube-Video führte: ‘Strategic-Level Spiritual Warfare’. Eine aufblasbare Kammer die über einen Kabelschacht mit zwei Türen verbunden ist.

Ausgangspunkt ist für Michael Stevenson eine Anekdote, in deren Mittelpunkt José de Jesús Martinez steht — ein ehemaliger Professor der Mathematik an der Universidad de Panamá. Der Professor scheiterte Zeit seines Lebens an der Doppeltür, die zu seinem Mathematik-Seminar führte. Nahezu jedes Mal wenn er energetisch in den Raum stürmen wollte und sich gegen die Tür warf, blockierte sie — er hätte ziehen müssen. Wenn er denselben Raum verließ fing er stattdessen an zu ziehen — wieder derselbe frustrierende Widerstand. Viele kennen dieses Dilemma. Wenige reagieren darauf so gereizt wie der Professor. Für ihn war diese Doppeltür die Ausgeburt der Hölle. Mehr noch: Ihre Türangel erklärte er zum wahrhaftigen Sitz des Teufels.

Orte, an denen sich das Böse eingenistet hat, um seine irdische Vorherrschaft zu verteidigen und die Kirche umzustürzen, werden in dem Youtube-Video ’dämonische Hochburgen’ genannt. ’…I COMMAND THE HOSTS OF HEAVEN TO PULL DOWN EVERY STRONGHOLD OF SATAN…’. Solche bösartigen Bollwerke können demnach nicht nur blockierende Türangeln, rote Ampeln oder leere Kühlschränke sein, sondern auch korrupte Konzerne und ganze Regierungsbehörden.

Das Youtube-Video richtet sich an die Anhänger der evangelikalen Pfingstbewegung. Sie sind überzeugt davon, dass eine endzeitliche Entscheidungsschlacht unmittelbar bevorsteht. Um sich für diesen Krieg am Berg Armageddon zu rüsten, propagiert das Youtube-Video die wesentlichen spirituellen Waffen für die strategische Kriegsführung — Gebet und…’Wahrheit’. Wenig überraschend, dass mystische Endzeit-Schwärmereien besonders in fundamentalistischen Kreisen viele Anhänger finden — ländliche Kirchengemeinden, die schon lange den medialen Wahrheiten misstrauen, stattdessen ihre eigenen ‘Wahrheiten’ konstruieren und diese Verschwörungstheorien glühend verfechten.

Auch Michael Stevenson war bis in seine Jugend Mitglied der neo-charismatischen Pfingstbewegung. Diese entzündete sich in den 60’ern und 70’ern in Neuseeland und loderte wie ein Flächenbrand durch die evangelikalen Gemeinden. Als sie das kleinstädtische Inglewood erreichte, trat seine Familie aus der etablierten United Church aus, um Teil der hingebungsvolleren und fundamentalistischen Christian Fellowship zu werden.

FUUUMBBB! Ein dumpfes Geräusch hallt durch den Ausstellungsraum. Über einen hydraulischen Mechanismus wird druckkomprimierte Luft in Schläuchen so reguliert, dass dadurch verkoppelte Bolzen in regelmäßigen Abständen auf Türen schlagen. So ändert sich ständig ihre Öffnungsrichtung. Drücken oder Ziehen? Eine banale Frage wird mit existenziellen Implikationen aufgeladen. 

Mein Blick wandert von der Tür zurück zu den Bolzen und dann entlang der Kabelkanäle. Diese führen bis in die aufblasbare Kammer, die mit sechs Festplatten bestückt ist. Über diese werden auf sechs Bildschirmen Browserspiele gestreamt. Fantasy-Spielwelten, Action-Shooter und Strategiespiele wie ‘Stronghold Kingdom’ beeinflussen scheinbar, welcher Bolzen in die Tür schlägt. Eine dualistische Weltsicht, die alles irdische als Schlachtfeld zwischen Gut und Böse begreift im epischen Gefecht um push oder pull. Emblematisch für eine evangelikale Erneuerungsbewegung, die Glauben vermarktet als wäre es ein virtuelles Action-Strategiespiel. ‘…SCATTER THE ENEMY…AND CRRRUSSSHHHH THEM’. 

Der gesamte Mechanismus mit den verkabelten Türen, die ständig ihre Öffnungsrichtung ändern, wirkt wie eine aufwändige Versuchsanordnung. Aber welche Hypothese wird hier überprüft? Keine. Und selbst wenn es eine Erkenntnis gäbe, würde diese nichts ändern: ‘Disproof Does Not Equal Disbelief’ — der Ausstellungstitel nimmt es vorweg.  

Diese Türen versinnbildlichen das Aufeinanderprallen von unerschütterlichen Überzeugungen, die hartnäckig verteidigt werden — Glaubenssysteme, die sich gegenseitig komplett ausschließen und doch koexistieren. Wissenschaft und Glaube. Versinnbildlicht durch den banalen Moment in dem man gegen die ‘verdammte’ Tür prallt. 

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MS 21KW 085

Ich habe selten Ausstellungen besucht, die sich so gut eignen, um vermittelt zu werden. Man kann Teil einer vielschichtigen Narration sein durch die man geschleust wird. Man kann diese Ausstellung genauso gut durchlaufen ohne auch nur die leiseste Ahnung davon zu haben, was hier passiert. Werke erschließen sich selten ohne Hintergrundwissen. Außerdem vervollständigen sie sich oft erst in unseren Vorstellungswelten. Ein Funke kann dort Begeisterung entflammen. Springt dieser Funke nicht über, dann lässt uns das was vor uns steht komplett kalt. Deshalb ist Kunstvermittlung für mich eine der spannendsten, aber oft auch unterschätztesten Praktiken innerhalb des Kunstbetriebs. Eine Show zu kuratieren bedeutet, sie ins Leben zu rufen — eine Show zu vermitteln bedeutet, sie am Leben zu halten.

In einigen Tagen gebe ich während der Berlin Art Week eine Tour durch diese Räume. Von der Michael Stevenson Ausstellung im KW führt diese Tour dann zu dem Schauraum eines Privatmuseums — der Salon Berlin in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule. Nächste Station ist der Galerieraum eines Instituts, das über einen Sammlungsbestand von tausenden Werken verfügt und weltweit Ausstellungen organisiert — die ifa-Galerie Berlin des Instituts für Auslandsbeziehungen. Letzte Station ist eine Retrospektive im n.b.k. (Neuer Berliner Kunstverein). Dort trifft man auf Neuaufführungen von Fluxus-und Aktionskunst aus einer Zeit, in der Kunst noch radikal unsere Lebenswirklichkeit beeinflussen wollte. All diese Räume geben Einblick in die verschiedenen Formate, die in sich in der Gegend angesiedelt haben, nachdem das KW 30 Jahre zuvor das ehemalige Fabrik-Gebäude übernahm.

Keine andere Institution hat den Kunstbetrieb in diesen Straßenzügen so maßgeblich beeinflusst. Kein Jahrzehnt wird in der Geschichte dieser trockengelegten Sumpfstadt so gnadenlos mystifiziert wie die Nachwendezeit der 90er. Aber viele Spuren von damals wurden mittlerweile großflächig überstrichen. Selbst die Menschen, die hier früher gelebt haben gibt es kaum noch — alte Menschen sogar so gut wie gar nicht mehr. 

Als sich die Grenzen öffneten sickerten auch die Investitionen in den ehemaligen Grenzbezirk vor der Mauer. Wohnungen als Eigentum zu kaufen war im sozialistischen Osten ein unbekanntes Prinzip. Anderswo wurde dies schon über Generationen hinweg praktiziert. 

Mittlerweile gibt es neben hochsanierten Altbauten etliche Neubauten mit Lofts. Verglast vom Boden bis zur Decke. Tiefgaragen wurden in den Morast gegraben. Sterile menschenleere Hallen, die aussehen wie die sterilen, menschenleeren Boutiquen, neben den sterilen, menschenleeren Galerien. Viel Weiß. Allerdings nicht flächendeckend. Es gibt immer noch einzelne Ruinen, deren Fenster mit Holzplatten verbarrikadiert sind und Plattenbauten mit Sozialwohnungen unter denen die U8 ihre Straßenverkäufer von Wedding direkt durch Mitte nach Neukölln schleust. 

Eine dieser Ruinen steht in der Auguststraße — sie gehört der jüdischen Gemeinde. Direkt gegenüber ist das Vorderhaus des KW mit seinen Büroräumen. Zehn Biennalen wurden von hier aus bereits koordiniert. 1998 gab es die erste. Kurz zuvor wurde eine der wichtigsten Baumaßnahmen abgeschlossen: der Bau der großen Ausstellungshalle. 400 Quadratmeter zusätzlicher Ausstellungsfläche die an das historisches Querhaus angedockt wurden. Das zentrale Nervensystem des KW.  

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Techniques in Spiritual Warfare. Youtube video min  14

In dieser Ausstellungshalle endet man nachdem alle Türen ‘besiegt’ wurden. Dort findet man zwei betretbare Installationen — Klassenräume mit dem Titel ‘Serene Velocity in Practice: MC 510/CS 183’. Vor einem dieser Klassenräume gibt es eine Box mit blauen Einweg-Überziehern, die man sich über die Schuhe stülpen soll, um dann den Raum betreten zu können. Dort steht man dann auf Kühlkörpern aus schwarzem eloxiertem Aluminium, die oft für Festplatten genutzt werden. Auch der Rest des Raums ist überwiegend düster und Tech-bezogen.

Das Ganze ist eine Aufarbeitung von CS 183 — einem wegweisenden Kurs, der ein Semester lang in Stanford angeboten wurde. Kursleiter war Peter Thiel — Tech-Milliardär, Neoliberalist und Gründer von Paypal und Palantir Technologies, einem Unternehmen das Überwachungsoftware an Konzerne und Regierungsbehörden verkauft. 

Besonders aussagekräftig ist der Tisch des Kursleiters. Die Tischfläche besteht aus einem Solarpaneel, genauso wie die Flächen der fünf weiteren Tische in diesem Raum. All diese Solarpaneele sind Produkte, die das repräsentieren, was Thiel in seinem Kurs als 'clean tech bubble’ bezeichnete. Innovationen in solarer Energie, die damals besonders in Kalifornien subventioniert wurden. Die meisten gingen schnell wieder bankrott. Thiel nennt diese gescheiterten Start-ups ‘grüne Phantome’. Jener Kurs basierte darauf diese Fallstudien der Tech-Industrie zu analysieren und daraus praxisorientierte Rückschlüsse zu ziehen.

Ungewöhnlich ist nicht nur die Tischfläche, sondern auch das Gestell — es besteht aus Verpackungsboxen von Soylent, dem einzigen Unternehmen in diesem Raum, das noch nicht bankrott ist. Das Start-up produziert ein ‘ready-to-drink meal replacement’ — beliebt im Silicon Valley als Möglichkeit zu essen ohne jemals den Arbeitsplatz zu verlassen. Zudem ist das Produkt angereichert mit Nootropika, die als Booster zur mentalen Leistungssteigerung (heißt: Selbstausbeutung) eingesetzt werden. Innovation wird so zur Plage.

Hinter dem Tisch steht das Gestell eines schwarzen Bürostuhls von Herman Miller, der nach einer Gottheit benannt wurde: ‘Aeron’. Nichts verkörpert die corporate Ästhetik der Web Start-ups in den 90ern so sehr wie dieser Dot-Com-Thron. Nachdem die Spekulationsblase platzte, wurden die Haufen von unbenutzten ‘Aeron’ Stühlen symbolisch für die leerstehenden Büroräume der defekten New Economy. Allerdings fehlt diesem ‘Aeron’ das Markenzeichen: die synthetische Gewebemembran, die sich ergonomisch anpasst, um die Wirbelsäule zu stützen. Stattdessen besteht die Rückenlehne aus einem Plastik-Gullideckel. Das Portal, das normalerweise in die stinkenden Abwasser-Kanäle führt, die unterirdisch im Schlamm zwischen Internetkabeln, Tiefgaragen und U-Bahnschächten verlaufen. Sinnbildlich für die finstere Parallelwelt, in der hinterhältige Kreaturen abgeschottet operieren.

Auch an der Peripherie dieser Stadt sorgen die unterirdischen Machenschaften eines Tech-Giganten momentan für Unruhe. Elon Musks neuerrichtete Gigafactory zapft dort besorgnisserregend viel Grundwasser ab, um ihre Maschinen zu kühlen. Während das Wasser schwindet, sickern stattdessen die neoliberalen Lebensentwürfe aus den Tech-Niederungen des Silicon Valley mitten in die Stadt und drohen sie immer massiver zu unterspülen — auszuhöhlen — trockenzulegen. 

Brachflächen sind vollständig bebaut, Straßenzüge vielfach sterilisiert. Aber Einrichtungen wie die KW brauchten den dreckigen Nährboden, um darauf wachsen zu können. Und ich schreibe das, als würde ich wissen wovon ich rede. Aber meine Sicht auf die 90er wurde auch nur nachträglich durch Gründungsmythen verklärt. Als Klaus Biesenbach als inoffizieller Praktikant für das Kulturamt Mitte arbeitete und die leerstehende Ruine in der Augustrasse besichtigte, war ich noch in der Grundschule und habe der Werbung geglaubt. Wenn es damals nach mir gegangen wäre, gäbe es heute in Mitte überhaupt keine Kunst, sondern wesentlich mehr McDonald´s Filialen.

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(Diese Tour ist eine von insgesamt vier geführten Kieztouren die im Rahmen der Berlin Art Week organisiert werden. Mehr Informationen auf https://berlinartweek.de/touren/)

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