RÄUME, IN DENEN MENSCHEN VERSTÖRENDE ERFAHRUNGEN MACHEN.
Die Künstlerinnen Henrike Naumann und Sung Tieu im Gespräch über Rechtsterrorismus, vietnamesische Vertragsarbeiter*innen und künstlerische Zugänge zu ostdeutschen Identitäten.
Sung Tieu und Henrike Naumann beschäftigen sich beide auf ihre Weise mit Ostdeutschland, der Nachwendezeit und wie die historischen Prozesse wie Migration und Rechtsterrorismus bis ins Heute fortwirken. Sung Tieu, die für den Preis der Nationalgalerie nominiert ist, untersucht in der Ausstellung Multiboy in der GFZK in Leipzig die Geschichte der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen, die das in der DDR beliebte Küchengerät Multiboy zusammenbauten - unter tausende andere Produkte, die von dieser “unsichtbaren Arbeit” hergestellt wurde, wie Tieu sagt. Henrike Naumanns künstlerische Konfrontationen mit den Umbrüchen und Kontinuitäten des Ostens gastieren in Museen überall im wiedervereinigten Deutschland, gerade beispielsweise im E-WERK Luckenwalde, eine kurze Bahnfahrt südlich von Berlin. Dort postuliert Naumann eine Parallelität mit der Steinzeit: Die DDR sei so lange her wie die Urzeit, aber ihre Trümmer stehen noch überall herum. Und wie wurde die Steinzeit als Metapher im Realsozialismus eingesetzt, wie von den Hohepriestern des Kapitalismus? Arts of the Working Class hat die beiden Künstlerinnen mit ostdeutschem Bezug eingeladen, über ihr Werk, ihre biographischen und kunsthistorischen Bezüge zur ex-DDR zu sprechen - und über die vielen blinden Flecken in der Aufarbeitung der (ost)deutschen Geschichte und Gegenwart.
AWC: Henrike, bei Dir in der Biografie steht als Geburtsort immer Zwickau, DDR, nicht Deutschland oder Sachsen. Warum ist Dir dieses DDR so wichtig?
Henrike Naumann: Schon in einer Kurzbio ist dadurch so viel Gesprächsstoff drin. Es gibt immer wieder Diskussionen mit Biennalen oder Kuratoren ob ich den wirklich drauf bestehe. Das ist immer der erste Teil der Arbeit, zu sagen: dieses Land hieß so. Das Land in dem ich geboren wurde hieß halt DDR. Damit beginnt man über geschichtlichen Layers zu sprechen. Deswegen setze ich der DDR ein kleines Denkmal in meinem CV .
AWC: Sung, was bedeutet die DDR für dich?
Sung Tieu: Ich habe die DDR ja gar nicht selber erlebt, ich bin ja in Vietnam geboren, 1987. Mein Vater ist im selben Jahr in die DDR gegangen, als Vertragsarbeiter. Ich bin erst 1992 mit meiner Mutter nachgekommen als es die DDR nicht mehr gab. Ich bin komplett durch das BRD-Schulsystem gegangen, aber in Friedrichshain, wo man die Spuren dieser DDR-Geschichte gespürt hat. Obwohl ich so sehr von der Geschichte und davon wie mein Vater nach Deutschland gekommen ist, geprägt wurde, fühlt sich die DDR trotzdem sehr fern an, wenn dann ist mir die Geschichte der Vertragsarbeiter*innen nahe.
AWC: Aber Du hast auch schon gesagt, Du fühlst Dich als Ostdeutsche – und als Nordvietnamesin gleichzeitig.
ST: Es gibt ganz klar eine Spaltung in der Migrationsgeschichte aus Vietnam. Südvietnamesische Flüchtlinge gingen in die BRD, wo es eine Integrationspolitik gab und die Idee, dass die Leute bleiben. Nordvietnames*innen sind als Lohnarbeiter*in die DDR gekommen, sie hatten befristete Verträge und sollten wieder gehen. Diese Spaltung verläuft durch die vietnamesische Community hier ebenso wie durch Vietnam selbst, das ist eine politisch-ideologische Spaltung, aber ich identifiziere mich damit, weil sie mich biographisch geprägt hat und historische Perspektiven mitbringt, die mich interessieren.
AWC: Es gibt in Bezug auf den Osten viele Blind Spots, die in beiden euren Arbeiten eine Rolle spielen. Es gibt westdeutsche Blindspots, aber es gibt auch allgemeine weiße deutsche Blindspots.
ST: Was mich so interessiert in meiner Arbeit, die gerade in meiner Ausstellung Multiboy in der GFZK Leipzig gezeigt wird, ist, dass diese Geschichte der Vertragsarbeiter*innen so unter den Teppich gekehrt wurde und was damit alles unsichtbar gemacht wurde. In Chroniken über die volkseigenen Betriebe der DDR, VEB genannt, wird die Arbeitsmigration der vietnamesischen oder “Werktätigen” aus anderen, den DDR verbundenen Staaten, gar nicht erwähnt. Ich war viel im Bundesarchiv und hab herausgefunden, das vietnamesische Gastarbeiter*innen in ungefähr 700 - 1000 Betrieben in der DDR gearbeitet haben. Das ist eine riesige Zahl. Das reicht von Einsätzen in Kraftwerken, im Transportwesen bis zur Keramikproduktion. Natürlich kannte ich die Zahlen, dass bis zu 100.000 vietnamesische Gastarbeiter*innen in der DDR waren, aber wie weit dieses Netzwerk gesponnen wurde, das war mir nicht so klar. Für die Ausstellung in Leipzig habe ich versucht, die Objekte einzukaufen, die sie damals produziert haben, von Tampons oder Kondome(n) zu Waschmitteln und Küchengeräten.
Mich interessiert, diesen ostalgischen Blick auf diese Produkte zu verändern. Ich will sagen: „Hey, diese (Waren-)Welt war auch gebaut von Menschen die nicht von hier kamen, die unter sehr bestimmten Auflagen in Deutschland lebten, die ganz viel unsichtbare Arbeit geleistet haben.“
HN: In der Gegend aus der ich komme, Zwickau, gibt es auch eine große vietnamesische Community, aus der Textilproduktion und der Autoherstellung - Trabant. Aber in meiner Klasse gab es niemanden mit einem vietnamesischen Background, weil es für Vertragsarbeiterinnen in der DDR verboten war Kinder zu kriegen. Frauen, die schwanger wurden mussten abtreiben oder das Land verlassen, also ultrabrutal. Erst meine jüngeren Geschwister in den Neunzigern hatten Klassenkamerad*innen aus der vietnamesischen Community. Das ist krass, darüber nachzudenken, dass die DDR ein Einwanderungsland war, aber nicht darüber gesprochen wurde.
ST: Um Schwangerschaft zu verhindern, hat man viele Regelungen getroffen. In den Wohnheimen, die eigens für die Arbeiter*innen erbaut wurden, wurden mehrere Menschen in einem Raum untergebracht. In den Heimordnungen war festgelegt, dass man nach 22 Uhr keinen Besuch mehr empfangen durfte. Da ist es unmöglich eine eigene Privatsphäre zu haben oder die eigene Sexualität auszuleben. Gleichzeitig ist es verrückt, dass die Vertragsarbeiter*innen Kondome produziert haben.
HN: Wie hast Du die Kondome gefunden?
ST: Ebay Kleinanzeigen! Lustigerweise gibt es Menschen die sowas aufbewahren. Du kaufst ja auch oft Objekte für deine Arbeit zusammen. Und du pflegst doch gerne die Kontakte mit den Verkäufern?
HN: Ja ich lade auch immer die Menschen an die Ausstellung einen von denen ich die Möbel gekauft habe. Wenn ich sie abhole, habe ich immer Einladungskarten dabei. Manche sagen dann, warum steht mein Schrank jetzt plötzlich im Museum. Sie einzuladen ist auch eine Methode diese Museumswände etwas durchlässiger zu machen und Leute ins Museum zu holen, die sonst nicht ins Museum gehen. Mit den Möbeln steht ja auch ein Teil der Leute dort. Manchmal entstehen auch schwierige Diskussionen, wenn ich den Leuten erzähle, worum es bei der Ausstellung geht, dann sagen die, was hat denn mein Schrank verbrochen, was hat der mit Nationalismus zu tun?
AWC: Warum sind Möbel ein so dankbares Objekt?
HN: Mit Alltagsgegenständen kann man gut Fragen aufwerfen. Wenn ich wie in meiner Arbeit 2000 (Jahr) Deutschland mit Teppichen wieder teile, dann um gewisse Diskussionen zu ermöglichen. Ich benutze diese Grenze, um über andere Grenzen in der Gesellschaft zu sprechen. Die Arbeit die gerade in Tempelhof zu sehen ist, Ostalgie, da verbinde ich die Trümmer der Nachwendezeit mit der Steinzeit und DDR-Relikten. Für mich ist einerseits die DDR so lange her wie die Steinzeit, andererseits wurden die Trümmer nie richtig weggeräumt. Es scheint zwar um den Osten zu gehen, aber ich benutze Möbel aus dem Westen - denn eigentlich geht es um den Westen, darum in welcher Form der Westen und das westliche System in den Osten kam. In Mönchengladbach hatte ich eine Presseführung, mit der ganzen Westpresse, ARD, Rheinische Post und so weiter, die waren alle so: „Ah ja diese Möbel, das sieht man sofort, so ostig“. Dabei waren die Möbel alle aus Krefeld oder Aachen.
Die Teilung verläuft nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen den Nachbarn, die verläuft zwischen uns allen. Ich benutze die Ost-Keule, um die Tür einzuschlagen und über die wirkliche Trennungen in der Gesellschaft zu sprechen.
AWC: Sung, du arbeitest auch oft mit Möbeln, beispielsweise mit Gefängnisbänken. Ihr arbeitet beide sehr stark mit Objekten, mit Möbeln, mit Architekturen. Gleichzeitig seid ihr auf einer ästhetischen Ebene komplett niedlich unterschiedlich, hier bunte Postmoderne der Nachwendezeit, da Minimalismus in Edelstahl. Was steckt hinter diesem Minimalismus?
ST: Mein Interesse daran begann mit einer Recherche in Vietnam. Der Krieg in Vietnam war eine der wichtigsten Auslöser für die Konzeptkunst in den USA, mit den Protestbewegungen, die zu einer eher immateriellen Kunst geführt haben. In Vietnam selbst ist davon nichts zu sehen. Aus dieser Lücke heraus wollte ich mich kritisch mit der westlichen Kunsttradition beschäftigen – und mit dem Minimalismus. Für die Ausstellung In Cold Print in Nottingham habe ich mich dann mit der Ästhetik von Helikopter-Landematten auseinandergesetzt, die für den Vietnamkrieg entwickelt wurden. Das sind immer so rechteckige gewellte Metallstücke, die man zu einer größeren Fläche zusammensetzten kann um dann die Landung schwerer Helikopter zu ermöglichen. Diese Landematten wurden dann später recycelt, viele von denen haben Amerika nie verlassen oder wurden nach dem Krieg zurückgeführt und verschwanden jahrelang in Lagern. Die amerikanische Army Corps of Engineers hat dann überlegt eine neue Verwendung für diese Helikopter-Landematten zu finden und beschlossen sie an der Grenze zwischen den USA und Mexiko einzusetzen. Was einst einmal horizontal auf dem Boden lag, wurde vertikal gestellt, um diese Mauer zu errichten. Diese Matten teilen viel mit der Kunst: Die Politikwissenschaftlerin Victoria Hattam hat die visuelle Ähnlichkeit von den Landematten mit Zeichnungen von Sol LeWitt herausgearbeitet. Damit habe ich mir angesehen, wie sich kultureller Imperialismus über konzeptionelle Kunst verbreitet.
AWC: Wie arbeitest Du mit dem Verhältnis zu westlichen Kunstgeschichte, Henrike?
HN: Die westdeutsche Kunstgeschichte ist die Geschichte , in die ich mich mit meiner Arbeit einreihe, was für mich auch nicht so einfach ist. Ich bin 1984 geboren, 1990 eingeschult worden, ich habe das komplettes BRD-Schulsystem durchlaufen, aber die Prägung was meine künstlerische Arbeit angeht, da ist auch die Kunstgeschichte der DDR relevant – die kam aber in meiner Ausbildung gar nicht vor. Mein Opa war Maler in der DDR, mit seinen Werken habe ich auch eine Arbeit gemacht, wo ich die Bilder vom Dachboden geholt und gefragt habe: Was macht man damit? Dazu muss man sagen, ich hab ja nicht direkt Kunst studiert habe, sondern erst Szenografie. Ich habe zwar Filme ausgestattet, aber ich habe mich immer dem dokumentarischen nah gefühlt. Räume zu bauen habe ich dokumentarisch gesehen, nichts als die Erschaffung von fantastischen Welten. Erst mit meinem Diplom habe ich eine Installation gemacht. Dass ich in der Kunst lande, habe ich nicht kommen gesehen.
AWC: Da gab es einen wichtigen Wendepunkt.
HN: Ja, 2011 war ich an dieser Kreuzung, was mache ich am Ende meines Studiums. Dann war ich bei meiner Oma in Zwickau zu Besuch, genau an dem Tag als Beate Zschäpe vom NSU ihr Haus angezündet hat. Ich saß nur einen Kilometer Luftlinie davon entfernt. Da habe ich gemerkt, error, die haben hier gelebt, die sind zum selben Bäcker gegangen wie meine Oma. Irgendwie habe ich jetzt auch ein Problem. Was habe ich eigentlich verdrängt aus den Neunzigern, als die Jugendlichen, mit denen ich im Kindergarten war, sich zur Konfirmation eine Bomberjacke gewünscht haben und dann mit Glatze in der Kirche saßen.
ST: Interessant, dass Du Dich so eng mit Zwickau verbunden fühlst. Für mich nehmen bestimmte Orte auch eine wichtige Bedeutung ein. Der erste Ort in dem ich in Deutschland gelebt habe, 1992, war Freital.
HN: Das ist auch hart.
ST: Ich war so ein bis zwei Jahren in Freital. Ich bin auch immer mal wieder dort, weil eine Frau, die mir sehr nahe steht, also ich nenne sie auch meine Oma, noch dort lebt. Irgendwann habe ich mich plötzlich gefragt: Hey, was ist da eigentlich? Was sind die Dinge die ich nicht gesehen habe als Kind, die dann so hoch kommen auch mit 2015 und der rechtsextremen “Gruppe Freital” und den Anschlägen auf ein ehemaliges Hotel, eine Asylunterkunft. Dann wurde mir erst bewusst, wie mein Kindergarten geprägt war. Schon damals gab es eine Skepsis gegenüber allem Fremden, welche ich erst im Nachhinein realisierte. Die Art und Weise wie man mit meiner Mutter gesprochen hat, man hat gar keine ganzen Sätze ihr gegenüber formuliert. Meine Mutter wurde von Leuten aus meinem Kindergarten angeschwärzt, weil sie im Keller heimlich Hühner geschlachtet und verkauft hatte. Sie musste halt irgendwie versuchen ihren Unterhalt zu bestreiten. Diese ganzen Geschichten wurden mit der Flüchtlingskrise wieder sichtbar. Es ist für mich aber immer noch wichtig nach Freital zu gehen. Mein Verbindungsglied ist zwar sehr dünn, da ist halt nur noch Oma Erika. Aber es ist wichtig diese Geschichten zu hören, an diesem Ort zu sein, den ich jedes Mal wieder neu verstehen muss. Freital ist einfach von der BRD vergessen worden. Die Arbeitslosenquote ist sehr hoch, da gibt es keine Perspektiven. Ich verstehe, warum Leute so ängstlich sind gegenüber allem Neuen und Fremden. Was kann man da machen, wie kann man solche Orte wieder aus der Vergessenheit holen?
AWC: Das Jahr 1992, das Jahr in dem Sung nach Deutschland gekommen ist, war ja auch zentral in deiner Abschlussarbeit Triangular Stories, mit der Du dich der Kunst zugewendet hast, Henrike.
HN: Dieses Jahr war für viele, die später in den Untergrund gegangen sind, ein Erweckungsjahr. 1992 gab es die gewaltvollen Progrome, 1993 wurde das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft – und bei vielen entstand der Eindruck, dass sie die Politik beeinflussen können, wenn sie Gewalt anwenden. Jetzt diese Arbeit fast zehn Jahre alt, ich habe in letzter Zeit gemerkt wie tief ich da selber drin stecke. Kann man als weiße Person in Deutschland geboren sein und nicht mitverantwortlich sein für Rassismus? Das hat auch die Medien verändert, die ich nutze, am Anfang war es mir wichtig, das dokumentarisch zu zeigen. Ich weiß, warum ich das damals so machen musste: Um zu sagen, hier in Sachsen passiert etwas, etwas sehr Schlimmes und irgendwann wird es überall passieren. Aber wenn ich darauf zurückblicke, merke ich, dass es vielleicht auch nicht so schlau ist so einen SS-Aschenbecher auszustellen. Damit grenze ich ein, an wen das gerichtet ist, jeder kann dann sagen, „also so einen SS-Aschenbecher habe ich nicht zu Hause, das geht hier nicht um mich“. Da verläuft die Grenze zwischen Gut und Böse und ich bin auf der richtigen Seite. Viel interessanter ist es, eine Ikea-Lampe hinzustellen und es zu schaffen mit dieser Lampe über Faschismus zu sprechen. Dann verläuft die Grenze nicht irgendwo da draußen sondern in mir selber.
ST: In Leipzig stelle ich auch eine Keramik aus, von Henneberg, die wirklich sehr weit verbreitet ist. Das Interessante daran ist genau, dass so viele Leute sie zu Hause haben. So viele Leute haben einen Bezug dazu, gleichzeitig wissen vielen wahrscheinlich gar nichts über die Geschichte mit der Herstellung und den Vertragsarbeiter*innen. Menschen fühlen sich angesprochen, weil die Zeichen nicht so konkret sind, weil die Grenze nicht klar gezogen ist, aber sie trotzdem involviert sind in diesem Prozess. Die Frage wie sich Menschen mit Kunst beschäftigen, macht sich in Leipzig gerade sehr stark bemerkbar. Wie lockt man Menschen ins Museum? Da gibt es so viele Menschen, deren Leben von diesen Dingen betroffen waren, die ich da ausstelle. Aber wie kann man auch ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in ein zeitgenössisches Kunstmuseum locken? Da ist eine riesengroße Hürde, mit den Menschen die von meinen Themen betroffen sind darüber zu sprechen. Es gibt noch so viele Zeitzeugen, die darüber sprechen könnten, warum tun wir es nicht?
AWC: Euer Turn zur Kunst war jeweils auch eine politischer Wende.
ST: Lustigerweise habe ich auch erst Politik und Verwaltung in Konstanz studiert, und dann Internationale Beziehungen in Dresden. Als ich Politikwissenschaft studiert habe, hatte ich oft das Gefühl dass es eine klare Ansage gab: das sind die Regeln, so sind die Gesetze, so machen wir das. Ich konnte nicht vertreten was dort gesagt wird. Darum habe ich noch mal Kunst studiert. Ich dachte ich kann diesen Themen und Fragen näher kommen über eine kreative Praxis.
AWC: Was ist eine kreative Praxis als Politik was ist Politik als kreative Praxis?
ST: Die Chance, gewisse Themen anzusprechen, sie neu zu denken, sie anders zu denken. Aber ich trenne meine Rollen . Ich bin auf der einen Seite Bürgerin, auf der anderen Künstlerin. Das überschneidet sich nicht immer. Ich muss in der Kunst nicht gewisse Ziele erreichen.
HN: In der Kunst kann man sich in Situationen bringen, die destabilisierend sind, man kann Widersprüche crashen lassen. Ich versuche Räume zu schaffen, in denen man in unangenehmen Situationen kommt oder Ideen begegnet, die ich nicht teile. Die Kurator*innen wollen manchmal am liebsten drüber schreiben: Das ist nicht die Meinung der Künstlerin und der Institutionen. Aber das ist doch das Potential der Kunst in einen Raum reinzukommen und sich erstmal orientieren zu müssen. Und damit seine eigenen Überzeugungen wieder zu sammeln. Darum würde ich das auch so formulieren wie Du, Sung: Es gibt mich als Bürgerin, und als Künstlerin, die Räume schafft in den alle Bürger*innen verstörende Erfahrungen machen sollen.
ST: Und den Raum gibt es außerhalb der Kunst eben nicht.
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Aktuelle Ausstellungen: Sung Tieu: „Multiboy“, Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, noch bis zum 3.10.
Henrike Naumann: Teil von “The Archive Show”, E-WERK Luckenwalde, noch bis zum 17.07
Teil von „Diversity United“, Flughafen Tempelhof Berlin, noch bis zum 19.09
Teil von „Trautes Heim Glück allein“, Schloss Kummerow, noch bis zum 31.10.
Weiter zu Kultur und Klassenkampf: Studio Bonn, Gespräche in der Mediathek der Bundeskunsthalle.
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