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WELCHES SYSTEM? WELCHE RELEVANZ?

Wie Christian Jankowski das Jahr 2020 als eine Umbruchzeit historisiert.

 

„Wir sind die, die eure Reifen wechseln, wir sind die, die eure Brötchen backen..!“, konnte man auf der bisher größten Demonstration gegen die Corona-Politik in Berlin hören. Neben den wütenden Menschen standen halbnackte Pazifisten, aber auch meine Nachbarn*innen; Menschen, mit denen ich dachte, eine gemeinsame Wirklichkeit zu teilen. Aber was an ihrer Vorstellung von Demokratie, Öffentlichkeit, Medien teilen Bürger*innen heute? Was hat die Isolation mit Menschen wie meinen Nachbar*innen gemacht, die bei solchen Protesten seelenruhig neben Rechtsradikalen und ihren Kaiserreichs-Flaggen, zwischen Anhänger*innen der radikal unplausiblen Verschwörungstheorie Q’Anon stehen? Neben Personen also, die gerne "Lügenpresse!", "Diktatur!", "Widerstand!" und "Wir sind das Volk!" brüllen? 

An der Siegessäule, an jenem Ort also, wo Wim Wenders einst über die Beziehung zwischen Menschen und Engeln in seinem Fantasy-Film ‚Der Himmel über Berlin‘ träumte, manifestiert sich ein neuer Bruch in der gemeinsamen Wirklichkeit. Und es ist hier, in diesem Loch, an dieser Bruchstelle, wo Christian Jankowski die Krise der basalen Paarung der klassischen Kommunikationstheorie - Sender und Empfänger - untersucht. Diese Krise führt er in der klaren Unvereinbarkeit zwischen Wirklichkeit, Massenmedien und Kunst vor.

Im Zentrum der Ausstellung ‚Sender & Receiver‘, die diesen Herbst bei Fluentum zu besuchen ist, steht seine neueste, gleichnamige Videoarbeit aus diesem Jahr, die gemeinsam mit der Sammlung von Markus Hannebauer und der Bangkok Art Biennale 2020 in Thailand produziert wurde. Darin bietet der Künstler systemrelevanten Arbeiter*innen (die Frage, warum erst jetzt bemerkt worden ist, dass sie systemrelevant sind, und warum hat sich dennoch nichts an ihren Arbeitsbedingungen verbessert hat, sei dahingestellt) eine Plattform in ausgewählten TV-Formaten (unter anderem Fernsehproduktionen des ZDFs, RBBs und AMARIN TVs), um ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke einer durch die Pandemie veränderten Lebensrealität öffentlich zu teilen. Indem diese Menschen quasi im Deep Fake-Verfahren in diverse Programme reingebeamt werden, entstehen eigenwillige Erzählungen, die für einen kurzen Moment als komplexe, semiotische Schicht über der sonst intakten Welt des alltäglichen Fernsehens verweilen.

christian jankowski sender and receiver 2020

 

Die drei Sphären (Fernsehformate, Kunst und der Alltag von systemrelevanten Menschen) prallen irritierend in diesem Film gegeneinander, und zwar immer wieder, bei jedem Statement der ausgewählten Arbeiter*innen. Jankowskis Inszenierung der Berichterstattung durch sie thematisiert somit Fragen nach medialer und kultureller Repräsentation, sowie dem Potenzial der Kultur als Medium der Geschichtsvermittlung. Hier geht es darum, durch künstlerische Mittel entscheidende gesellschaftliche Funktionsmechanismen zu entlarven.

Infiltrierte Gedanken der also heute Systemrelevanten klingen wie aus einer ungeskriptete Straßenphilosophie, und hier mussten die Straßenzeitung natürlich eine Auswahl treffen, um im Zuge Jankowskis Produktion, den gesellschaftlichen Handlungsrahmen noch mal zu reflektieren. Denn, wie er es darstellt, wirkt das TV als der komplexeste Spiegel unserer Zeit. Eine Maske, hinter die man eine Realität vermutet, oder durchschaut. Jankowski, bekannt für seine hochikonographischen Referenzspiele mit der Kunstgeschichte, platziert, wie alle anderen Unterhaltungskanäle, die Gesundheit und das Lockdown in den Mittelpunkt seiner Praxis, und choreographiert somit einen Totentanz aus Bettlern und Königen, getrieben durch der großen Angst, vom System abgelehnt zu werden. Nur, von welchem?

Eine extreme Nähe zu Menschen – durch die Versammlung von persönlichen Aussagen – erlaubt diese Probe für den Ernstfall. Jankowski behält dabei nicht nur die Verantwortung der Bildproduktion, der Bildersendung, sondern wiederholt ein Ritual, bei dem jeder dabei sein kann. 2020 übersteigt, so meint Jankowski, die Medialität, die 9/11 erzeugt hat, in der die Komplexität der dauernde Präsenz der digitalisierten Welt jeden betrifft. Diese Pandemie ist ein Disaster, das zum Symbolwert von Zwischenmenschlichkeit geworden ist.

 

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Comments

  • Killian, Getränkelieferant 21 Sept 2020, 15:01 (4 years ago)

    Achtet auf Eure Gesundheit: Wir tragen dazu bei, womit ihr euch versorgt.
    Auf jede Getränkeflasche, die nicht Wasser ist, würde ich schreiben: „Trinkt mehr Wasser!“
    Es ist nicht nachhaltig für die Gesundheit, wenn nur Zucker und Alkohol getrunken werden, und damit ist es eben auch für die Gesellschaft nicht nachhaltig.
    Menschen sind von der Gesundheit aller abhängig, damit die Gesellschaft funktioniert.

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  • Vivienne, Polizistin 21 Sept 2020, 15:01 (4 years ago)

    Was im Fernsehen gezeigt wird, sind natürlich immer ganz spektakuläre, heftige Fälle. Und ich muss ehrlich sagen, mein Alltag besteht nicht nur aus solchen Fällen.
    Mein Alltag besteht größtenteils aus Verkehrsunfällen, Streitigkeiten oder auch mal einem Ladendiebstahl. Das sind die Sachen, die ich tagtäglich habe. Dass es ab und zu auch mal größere Einsätze gibt ist logisch – und dass man dann eben auch mal das SEK oder einen Hubschrauber braucht das ist auch normal – aber wir haben nicht nur jeden Tag mit Schwerverbrechern zu tun. Sondern manchmal sind wir auch einfach Hilfeleister. Wir sind das Ohr, das auch mal gerne zuhört.

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  • Lea, Pflegerin 21 Sept 2020, 15:00 (4 years ago)

    Ich würde gerne den Angehörigen, also den Eltern oder Geschwistern meiner Patient*innen sagen: „Ok ich bin auch einfach ein Mensch - mit diesem Beruf. Und ich bin nicht alles.“ Denn sie ziehen mich dann wirklich auch teilweise als Therapeutin, als Beraterin heran. Und ich finde die Erwartungshaltung an mich da sehr oft über alle Maßen hoch. Das würde ich ihnen gerne mal so sagen. Also so: „Kommt mal runter!“

    Vor allem, weil vielen Menschen auch so gar nicht die Multifaktorialität - also was wir da eigentlich alles machen - bewusst ist. Wir setzen die ja nicht morgens nur in den Rollstuhl und holen die abends wieder raus. Wir hören denen auch zu.

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  • Lucas, Corona Tester 21 Sept 2020, 14:59 (4 years ago)

    Man sieht wie viele Betroffen sind oder sterben. Aber wie viele man beschützt hat
    - dadurch, dass man Sie in Quarantäne geschickt hat oder aufgeklärt hat -
    Das wird man nie erfahren. Die präventive Arbeit, die wir machen ist schwer zu sehen.

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  • Andreas, Amtsarzt 21 Sept 2020, 14:59 (4 years ago)

    Also ich bin katholisch, da wurde ja gesagt, die schweben durch die Luft und sind für das Gute. Es gibt aber auch böse Engel: also, da gibt’s beides. Wie die kommunizieren, weiß ich nicht. Singen? „Oh Gott, dann wird das Krankenversicherungssystem noch teurer, das wollen wir lieber doch nicht machen!
    Da singen WIR lieber noch dreimal Acapella – damit kommen wir billiger raus!“

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  • Ulrike, Apothekerin 21 Sept 2020, 14:59 (4 years ago)

    Es ist zwar immer viel von Schutz geredet worden – aber der Medikamentenmangel fehlt in der öffentlichen Wahrnehmung. Das ist mein persönliches Ärgernis.
    Im kleinen Freundeskreis kam schon:
    „Ist ja toll! DU so an der Front! Dass DU zur Arbeit gehst, wenn alle anderen zu Hause bleiben dürfen“
    Das Klatschen vom Balkon für Pflegekräfte, war da ja nochmal `ne Nummer schärfer – als jetzt so bei mir in der Apotheke. Und dieses ganze engel- und heldenhafte Betiteln ist auch schon wieder vorbei: Die sind Immer noch schlecht bezahlt.
    Scheinheilig.

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  • Mario, DHL Zusteller 21 Sept 2020, 14:56 (4 years ago)

    Ein Engel der Krise?
    Ich bin ja kein Engel, ich glaub da nicht dran. Sicherlich wird’s schwieriger, gerade die Sendungsmengen. Dann hat man mal `ne Stunde länger gemacht.
    Aber ich bin nicht der Typ, der sagt „So, ich hab` die Schnauze voll! Ich bleib jetzt mal zwei Wochen zu Hause!“ einfach so. Ich mache weiter, so lange ich der Ansicht bin, es muss gemacht werden.Es gibt so einen blöden Spruch:
    „Take it easy and smile or don’t take it“. Ja, nimm’s locker oder nimm’s nicht, so sinngemäß.

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  • Claudia, Ärztin 21 Sept 2020, 14:51 (4 years ago)

    Die Verbindung zwischen Kunst und Krankheit besteht in der Krise. Es geschieht eine Abwendung vom Normalen, im Sinne von Entwicklungssprüngen. Da gibt es Kunst, wie Krankheit - Eine sprunghafte Weiterentwicklung. Denn man geht sowieso immer weiter, man wird sowieso immer besser, cooler und genialer im Leben. Aber es gibt auch Explosionen im Lebenslauf - durch Krankheiten und Werke. Ich glaube, dass man mit einem Kunstwerk etwas transportieren kann, was unterschwellig da ist, geistig oder seelisch. „Es tut mir leid, dass ich so auftrete und diese ganzen Sachen anhabe, die eine Barriere zwischen uns schaffen.“ Obwohl ich beruflich mit Vermeiden zu tun habe, liegt meine persönliche Priorität auf Annehmen. „Jetzt kommt’s! Der Moment indem ich auch mal wieder was tun muss, was Wichtiges!“

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  • Björn, Supermarkt Verkäufer 21 Sept 2020, 14:51 (4 years ago)

    Hilfe, ich arbeite im Supermarkt, ich habe 300 Kunden am Tag. Ich darf mich jetzt mit keinem einzigen Menschen mehr treffen. Es wäre vielleicht vernünftig gewesen ja, aber ich muss auch nach mir selbst gucken, denn ich bin ein Mensch, der braucht diesen Kontakt. Sonst werde ich selber krank. Ein Engel ist für mich ein Wesen, das man nicht sieht und nicht fühlen kann. Aber trotzdem wahrnimmt. Man merkt, dass es einen begleitet und in bestimmten, kritischen Situationen auf einen aufpasst. Oder einem Dinge ins Ohr flüstert, so etwas. Man könnte es auch mit einem Bauchgefühl vergleichen.

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